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Feature: Wie Tudor aus dem Schatten von Rolex heraustrat

Die Beziehung zwischen Rolex und Tudor ist relativ harmonisch, wenn man bedenkt, dass es sich um Geschwister handelt. Weniger die Gallagher-Brüder von Oasis, mehr Venus und Serena. Aber erst in der letzten Zeit ist Tudor aus dem Schatten der „großen Schwester“ herausgetreten, um sich eine eigene Identität aufzubauen.

Der Mitbegründer von Rolex, Hans Wilsdorf, war von Anfang an entschlossen, eine Uhrenmarke mit moderatem Preisniveau in sein Sortiment aufzunehmen. Nachdem er jedoch einen einprägsamen Namen für seine erste Marke gefunden hatte, fiel es ihm schwer, auch für die zweite einen passenden Namen zu kreieren.

Elvira, Falcon, Hofex und die schrecklich plump klingende Bezeichnung Rolwatco waren nur einige der Namen, die Wilsdorf schließlich registrieren ließ, ohne wirklich etwas mit ihnen anzufangen.

Tudor wird geboren

Wilsdorf entschied sich letztendlich für den Namen Tudor, was angesichts seiner Vorliebe für alles Englische sehr passend erscheint. Schließlich hatte er in London den Rolex-Mitbegründer Alfred Davies kennengelernt und das Unternehmen aus der Taufe gehoben. Allerdings stellte er fest, dass ein anderer Uhrenhersteller seinem Namenswunsch zuvorgekommen war, und so musste er die Rechte daran erwerben. Dies war in den späten 1920er Jahren, aber erst 1946 gründete Wilsdorf die Montres Tudor SA, wie das Unternehmen mit vollem Namen heißt.

Es scheint, als hätte die Marke Tudor anfangs mit ihrer Identität kämpfen müssen. Während Rolex das Rampenlicht für sich beanspruchte und die stehenden Ovationen einheimste, versteckte sich Tudor zaghaft am Rand der Bühne. Dennoch scheute die Marke die Assoziation mit dem Schwesternunternehmen nicht. Der Schriftzug „Made by Rolex“ tauchte in diversen Tudor-Zeitungsanzeigen auf, während „Rolex Watch Co LTD“ auf einigen frühen Tudor-Zifferblättern zu finden war.

Sogar das Logo der Marke änderte sich: Die frühen Zifferblätter trugen eine Tudor-Rose, bis sie Ende der 1960er Jahre durch das heutige Wappen ersetzt wurde, um dem mittelalterlichen Thema treu zu bleiben.

Erschwingliche Exzellenz

Während Rolex in den folgenden Jahrzehnten alle Lorbeeren einheimste, ging Tudor im Stillen seiner Arbeit nach. Und diese Arbeit bestand darin, den Kunden Uhren mit einer ganzen Reihe von technischen Eigenschaften zu bieten, die zwar nicht ganz mit der großen Schwester mithalten konnten, dabei aber auch längst nicht so teuer waren.

Da Tudor weiterhin auf Funktions- und Sportuhren setzte, hielt sich die Marke auch beim Design von der ganz edlen Optik fern und überließ Rolex die Eleganz im Cellini-Stil (obwohl Tudor eine Uhr mit Weckfunktion herstellte, was Rolex nie getan hat).

Inwiefern war eine Tudor-Uhr also eine Rolex? Nun, Wilsdorf wusste, dass es keinen Sinn ergab, die Rolex-Qualität zu unterschreiten, die er bis dahin mühsam entwickelt und erhalten hatte. Aus diesem Grund nutzte Tudor für die Herstellung von Gehäusen, Armbändern und für die Montage dieselbe industrielle Plattform wie Rolex. Auch die bereits etablierte Expertise im Vertrieb und Kundendienst erwies sich als nützlich.

Die überwiegende Mehrheit der Uhrwerke – mit Ausnahme der Chronographen, bei denen Valjoux zum Einsatz kam – stammte jedoch nicht von Aegler, dem Exklusivlieferanten von Rolex während eines Großteils der Unternehmensgeschichte, sondern von der nicht gerade exklusiven ETA. Auf diese Weise gelang es Tudor, die Kosten niedrig zu halten.

Der Ausbruch

Wie viele Kinder, die im Schatten ihrer älteren Geschwister stehen, war es nur eine Frage der Zeit, bis Tudor anfing, mit den Füßen aufzustampfen und einen größeren Anteil der Aufmerksamkeit zu fordern. Im Jahr 2007 präsentierte Tudor eine neue Strategie, bei der es darum ging, in den Archiven zu kramen und eine Neuauflage von mehreren klassischen Modellen herauszubringen. Longines hatte in den Vorjahren großen Erfolg damit gehabt.

Diese Strategie beinhaltete auch ein dringend notwendiges Re-Branding bestimmter Modelle, deren Namen denen von Rolex ähnelten. So wurde der Oyster Date Chronograph aus dem Jahr 1973 mit seinem markanten Schmetterlingszifferblatt zur Heritage Chrono Blue, während das Submariner-Modell von Tudor zu den Modellen Heritage Black Bay und Pelagos mutierte. Beide verfügen über die markanten Schneeflockenzeiger, die zu einem charakteristischen Designmerkmal der Marke geworden sind.

Aus der Oyster Prince Ranger (im Grunde die Tudor-Version der Explorer) wurde natürlich die Heritage Ranger, und es gab auch völlig neue Modelle wie die sportliche Fastrider.

Darüber hinaus begann Tudor 2015, einige Uhren mit Uhrwerken aus dem eigenen Haus auszustatten. Sie sind COSC-zertifiziert und werden im eigenen Atelier in Biel hergestellt (der Stadt, in der Rolex und verschiedene andere Marken ihren Sitz haben).

Armbandoptionen

Nicht zu vergessen sind die raffinierten Optionen für verschiedene Stoffarmbänder, die es bei Tudor gibt. Ein Schritt, der überhaupt nicht zu Rolex passt, aber beweist, dass Tudor den Zeitgeist getroffen hat. Die Heritage Chrono Blue verfügt beispielsweise über eine auffällige Variante in Orange, Weiß und Blau, die auf das Zifferblatt abgestimmt ist, während für das vom Motorradsport inspirierte Modell Fastrider ein Nylonarmband mit rasanten Streifen erhältlich ist.

Es war, als ob Rolex, die sich in einem Abendkleid von Oscar de la Renta für den Star hielt, auf der Party ankam und feststellte, dass ihre kleine Schwester die ganze Aufmerksamkeit auf sich zog, weil sie ein Paar auffällige Air Jordans trug.

Und dann war da noch die Frage des Preises. Selbst gebrauchte Rolex-Uhren, ganz zu schweigen von nagelneuen, waren für die breite Masse zunehmend unbezahlbar geworden, wohingegen die mittleren Preisklassen von Tudor einen großen Reiz ausübten. Auch die Verpflichtung von prominenten Markenbotschaftern wie David Beckham und Lady Gaga hat noch einmal deutlich gemacht, dass Tudor heutzutage wirklich nach seiner eigenen Pfeife tanzt – was ohnehin kaum jemand bezweifelt hätte.

Was den Werbekampagnen an Raffinesse fehlt, macht Tudor durch jugendlichen Überschwang und Zugänglichkeit wieder wett. Und wer gedacht hat, dass es sich nur um eine Einstiegsmarke für Rolex handelt, der hat seine Meinung inzwischen mit Sicherheit geändert.

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